Viel App für nichts? Geld verdienen im App Store (2/2)

Und hier nun die nahtlose Fortsetzung der Story von gestern


Beflügelt vom unbedingten Willen zum schnellen Geld, treiben vermehrt Betrüger im App Store ihr Unwesen. Populäre Apps wie Cover Orange [App Store], Temple Run [App Store] oder Topia World Builder [App Store] werden dreist kopiert. Produktpiraten stellen erfolgreiche Spiele unter einem abgewandelten Namen im App Store ein. Wann immer ein Titel erfolgreich ist, schießen Plagiate wie Pilze aus dem Boden. In besonders dreisten Fällen kopieren die Plagiateure sogar die App-Beschreibung. Andere Kriminelle setzen auf die Anziehungskraft bekannter Marken. Unter dem Namen Home of Anime bewarb Daniel Burford mit Screenshots aus Konsolen- Versionen seine Apps Pokemon Yellow, Digimon+ und YuGiOh+. Die Apps hatten allerdings keinerlei Funktion und stürzten umgehend nach dem Start ab. Dennoch hielten sich Burfords Mogelpackungen über Tage auf hohen Charts-Positionen, zu groß war der Reiz, den die Namen und manipulierten Bildschirmfotos auf die Kundschaft ausübten.

Vermehrt drängen auch Lizenzinhaber in den App Store, stets in der Hoffnung, sich dank der bekannten Namen ihrer Produkte ein Stück vom App-Kuchen sichern zu können. Brettspiel-Hersteller Ravensburger pumpt mit seiner ausgegründeten Firma Ravensburger Digital GmbH Monat für Monat Umsetzungen beliebter Brettspiele wie Das verrückte Labyrinth [App Store] oder Scotland Yard [App Store] in den App Store. Jüngst erfuhren auch die Kinderbücher von Ali Migutsch [App Store] eine digitale Reinkarnation. Auch betagte Videospiel-Klassiker werden im Wochentakt im App-Kleid in den Store geleitet: Spy vs Spy [App Store], Alien Breed [App Store], Fur Fighters: Viggo on Glass [App Store] – ob ein Titel aus der C64-, Amiga- oder Dreamcast-Ära stammt, interessiert nicht, solange ihn noch jemand kennt und hoffentlich in romantischer Verklärtheit kauft. Bei vorrangig kapitalistischen Motiven bleibt leider häufig die wünschenswerte Sorgfalt bei der Umsetzung auf der Strecke. Mit jedem weiteren Mitbewerber, der olle Kamellen im App-Mantel verkleidet verbreitet, wird der App Store mehr zum Haifischbecken.

Nüchtern betrachtet, scheint es heute im App Store mit dem Reichtum über Nacht nicht weit her. Gerne wird beim Hohelied auf den App Store übersehen, dass Einnahmen von den Entwicklern versteuert werden müssen. Zudem ist es der Ausnahmefall, dass ein Programmierer allein im stillen Kämmerlein an einer App schraubt und sich in Personalunion um Steuerung, Grafik und akustische Untermalung eines Titels kümmert. Stattdessen wollen Grafiker und Musiker bezahlt werden, gegebenenfalls fallen Lizenzgebühren für die Nutzung einer Grafik- oder Physik-Engine an. Hinzu kommen Ausgaben für Hardware, denn jedes iOS-Gerät muss als Testumgebung verfügbar sein, will man sich nicht auf den Simulator verlassen und nach der Veröffentlichung unangenehme Überraschungen erleben. Die jährliche Gebühr in Höhe von 80 Euro, die Apple von jedem Entwickler verlangt, erscheint angesichts dieses Berges von Ausgaben ein zu vernachlässigender Posten – doch schon hierfür gilt es, mehr als 130 Apps zum Preis von 89 Cent zu verkaufen.

Die Mehrheit der kleinen App-Entwickler muss sich einschränken, um über die Runden zu kommen. Bei einer Befragung von mehr als 100 App-Entwicklern kam App-Promo im April 2012 zu dem Schluss, dass 80 Prozent der App-Entwickler nicht von den Einnahmen ihrer Produkte leben können. Lediglich zwölf Prozent der App-Entwickler kommen auf einen Erlös jenseits der Marke von 50.000 US-Dollar, knapp 70 Prozent hingegen schaffen es nicht einmal, 5.000 Dollar aus einer App zu ziehen, in deren Entwicklung sie Zeit und Ressourcen investiert haben. Dieses traurige Bild bestätigen die vergleichsweise erfolgreichen App-Entwickler von Shifty Jelly, deren App Pocket Casts [App Store] es immerhin bis auf Platz 16 der amerikanischen App-Store-Charts schaffte. Nach ihren Erfahrungen müssen viele App-Entwickler an fremden Projekten arbeiten, um die Arbeit an der eigenen App zu finanzieren, was die Entwicklungszeit wiederum verlängert. Im schlimmsten Fall endet die Karriere wie die der Programmierer der empfehlenswerten App Gasketball [App Store]: Da zu wenige der 200.000 Nutzer die kostenpflichtigen Inhalte aus der kostenlosen App freischalteten, rutschen Mike Boxleiter und Greg Wohlwend in die Obdachlosigkeit ab, wie Ben Kuchera in einem Editorial für The Penny Arcade Report beschreibt.

Rührende Erfolgsgeschichten wie die von Luca Redwood halten die Hoffnung auf das Gute im App Store dennoch am Leben. Er eröffnete gegenüber TouchArcade in einer Podcast-Episode, dass er seine Zeit als werdender Vater als ultimative Chance begriff, die App zu programmieren, nach der er sich selbst als Spieler seit Jahren sehnte. Das Ergebnis seiner Arbeit, 10000000 [App Store], eine grobpixelige Mischung aus Match- Three- und Rollenspiel, wurde über Nacht durch ein begeistertes Review auf TouchArcade zum Bestseller und schaffte es auch in die oberen Ränge der deutschen App-Store-Charts. Einen verdienteren App-Entwickler hätte es nicht treffen können. Doch solche liebenswerten Anekdoten sind im fünften App-Store-Jahr leider die Ausnahme.

Bei engstirniger Betrachtung verdient sich selbst Apple an seinen App Stores keine goldene Nase. Von den 30 Prozent der App-Verkaufspreise, die Cupertino einbehält, muss der Konzern Personal und Infrastruktur bereitstellen, damit iOS-Kunden Tag und Nacht in den digitalen Warenhäusern einkaufen können. Doch im Gegensatz zu Amazon mit seinem iPad-Konkurrenten Kindle Fire HDzielt Apple nicht darauf ab, mit Software, hier: Apps, Reibach zu machen. Stattdessen verdient Apple sein Geld mit Hardware; an jedem verkauften iPhone rund 250 Euro. Fast alle der mehr als 150.000 registrierten App-Entwickler kaufen jährlich die neueste Hardware. Fast 40 Millionen Euro verdient Apple im Jahr allein an seinen App-Entwicklern. Jede ihrer Apps ist für Apple indes ein weiteres Argument, um Kunden einzufangen. Angesichts dieser Sachlage erscheint es nicht im Geringsten als bedauernswert, wenn Apple digitale Warenhäuser zum Selbstkostenpreis betreiben muss.

Dieser Text stammt aus Stromstock iPad Edition 04.2012, ein Quell der Freude, der kostenlos im iBookstore erhältlich ist. Der erste Teil erschien gestern…

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